Rede zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode von Dr. Fritz Roth
Rede zur Eröffnung der Legislaturperiode 2021 – 2026 vor der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Groß-Umstadt am 29.4.21
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren Stadtverordnete, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist seit 1949 in allen deutschen Parlamenten auf allen Ebenen ein guter parlamentarischer Brauch, dass der an Jahren älteste Angehörige des jeweiligen Parlamentes die Legislaturperiode eröffnet und bis zur Wahl des Vorsitzenden der Gemeindevertretung leitet. Heute nehme ich diese ehrenvolle Aufgabe gerne wahr.
In diesen Tagen habe ich mich an eine Rede erinnert, die als eine der ganz großen Reden in die Weltgeschichte eingegangen ist und bei deren Übertragung mir damals ein Schauer über den Rücken gelaufen ist – ich meine die Rede von Martin Luther King am 28. August 1963 vor dem „Lincoln Memorial“ in Washington. „I have a dream“ .. dass auch in Amerika die Wahrheit selbstverständlich wird, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass meine vier Kinder in einer Welt leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach dem Wert ihres Charakters beurteilt werden – und immer wieder: „I have a dream“.
Und obwohl wir den Schwierigkeiten von heute und morgen ins Auge blicken müssen, habe ich auch für Groß-Umstadt einen Traum.
Ich habe den Traum, die „Nordspange“ sei fertig und in ihrem Verlauf sei ein neues Rathaus entstanden mit einem diesem obersten Gremium der Stadt würdigen Sitzungssaal für das Parlament, mit klarer Trennung von Exekutive und Legislative, mit leicht erhöhter Balustrade für Presse und Besucher, mit Tagungs- und Andienungsräumen für Sitzungen und Tagungen jeder Art, mit allen Verwaltungsabteilungen an einem Ort konzentriert und für die Bürger mit einem Behördengang erreichbar. Gleich daneben die städtische Feuerwehr -dann nicht mehr weit entfernt vom Bauhof – mit einer modernen Rettungs-Zentrale, von der aus das gesamte Stadtgebiet ohne trennende Odenwaldbahn erreichbar wäre. Und ichträume auch davon, dass ich dann nicht mehr hören muss: „Um festzustellen, was Sie wollen – Drücken Sie die vier oder sechs – Es ist niemand erreichbar, rufen Sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder an.“
Ich habe den Traum von einem Stadtarchiv im alten Amtsgericht, in dem ich bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Rotwein über die Geschichte der kommunalen Zusammenarbeit nachforschen und mich mit Anderen austauschen könnte. Und auch, dass ein Bücherarchiv mit Bücherbörse dazukäme. Welche Stadt hat das schon?
Ich träume von einer autofreien Innenstadt, in der auch Kinder und ältere Mitbürger gefahrlos flanieren und alle Zeit genießen können, unberührt von verkehrlicher Rechthaberei und parkendem Benzingestank.
Ich habe den Traum von einer für alle Bürger nutzbaren grünen Lunge in der Innenstadt mit einer Teichanlage im Mittelpunkt zugleich als Sammelbecken für Sickerwasser und Niederschlagswasser, das bisher ungenutzt in den Gullys verschwindet. So könnte in trockenen Jahreszeiten gespeichertes Wasser wieder verwendet werden. Eine solche Grünanlage könnte beiderseits des Mörsweges unterhalb des Krankenhausberges beginnen und mit dem Altstadtparkplatz die gesamte Fläche zum Mörsweg bis zur Gärtnerei Welter einbeziehen – damit auch die teils etwas wüsten Zustände in den Anlagen beenden.
Ja und ich habe auch immer noch den Traum von einem ganzjährig nutzbaren Schwimmbad oberhalb des Standards benachbarter Kommunen als Teil einer „Stadt der Begegnungen“, die sich nicht nur auf die Attraktion ihres Weines verlässt. Stillstand kann bekanntlich Rückschritt sein.
Nach so viel Traumschilderungen habe ich Ihnen auch zu erklären, warum ich von der Zukunft träume. Dieses war nämlich meine letzte Rede vor diesem Gremium. Mit dem Ende der heutigen Sitzung werde ich mein Mandat niederlegen. Meine politischen Freunde kennen diese Absicht schon seit Längerem. Mit bald 80 Jahren ist es Zeit Platz zu machen und eine Partei, die Achtzigjährige nicht ersetzen kann, wäre auf keinem zukunftsversprechenden Wege. Wir haben aber gute jüngere Interessierte an uns ziehen können, die in Kürze ihren Kopf durch die Tür stecken werden. So gehe ich ohne Zweifel und werde mich dem zuwenden, was ich noch vorhabe. So ganz lange Zeit bleibt mir ja nicht mehr dafür.
Zum Abschluss darf ich auch noch Wünsche äußern. Ich wünsche diesem Parlament ein starkes Selbstbewusstsein, eines das sich immer vor Augen hält, dass es als höchstes Entscheidungsgremium die Verantwortung für die zukünftige Entwicklung dieser Stadt trägt, dieses Parlament und sonst niemand. Auch die neu hinzugekommenen Kolleginnen und Kollegen sollten sich immer bewusst sein, dass die Stadt auf sie schaut und dass sie einen wichtigen Teil für den demokratischen Bestand und das Verständnis unseres Staatswesens darstellen. Vor 150 Jahren trat das erste gesamtdeutsche Parlament im Berliner Schloss zusammen. Es wurde Reichstag genannt. Aufbruchstimmung damals, aber heute von autoritären Strömungen jeglicher Couleur in Frage gestellt.
Diese massiv-öffentlich gewordene Kritik nährt sich von dem Spiegel einer Demokratie auf dem Abstieg, wie ihn uns die Pandemie-Regulierungen vorhalten. Der Bundespräsident hat dieses vor kurzem festgestellt: Der Hang zum Alles-regeln-wollen, die Angst vor Risiken und das Hin-und Her-Schieben von Verantwortung sind Symptome unseres gesellschaftlichen Zustandes. Deshalb geht das auch dieses Parlament und sein Verhalten an.
Und ich würde mir auch wünschen, dass das Verhalten dieses Parlamentes dazu beitragen möge, dass sich zukünftig mehr als 2% der Wahlberechtigten in Groß-Umstadt in den politischen Parteien zu engagieren wagen. Denn daraus rekrutiert sich das politische Personal, das aufgerufen ist, die Entscheidungen in dieser und für diese Stadt zu treffen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von ganzem, demokratisch besorgtem, Herzen alles Gute und bedanke mich zugleich für Ihr geduldiges Zuhören.
Dr. Fritz Roth den 29.April 2021