Entwurf für eine Grundsatzdiskussion der FDP OV Groß-Umstadt

18.05.2025
  1. Auflage, OV Groß-Umstadt
    Groß-Umstädter Manifest für ein liberales Grundsatzprogramm
    Vorwort
    In unserem Ortsverband wird schon seit Längerem darüber
    nachgedacht, dass die innere Einstellung der FDP der äußeren
    Darstellung nicht entspricht. Zahlreiche Mitglieder wissen mit dem
    Begriff „Liberalismus“ nicht so recht etwas anzufangen, seine
    Definition stößt auf Unkenntnis. Das daraus resultierende
    unterschiedlich bis diffuse Bild auf allen Parteiebenen verlangt
    geradezu ein neues, verständliches, allen grundsätzliche Orientierung
    bietendes Grundsatzprogramm. Die „Freiburger Thesen“ sind seit
    langem überholt, die „Karlsruher Thesen“ unbekannt. Deshalb
    nachfolgend die Überlegungen für ein neues Grundsatzprogramm,
    folgend auch dem Aufruf unseres Bundesvorsitzenden Christian Dürr.
    Ein solches sollte sich auf die Darstellung der Kernelemente des
    Liberalismus im Unterschied zu den anderen gesellschaftlichen
    Richtungen beschränken – zu Sozialismus/Kommunismus und
    Konservativen. Aktuelle politische Lösungsansätze – ob in Bildung,
    Energie, Haushalt/Finanzen, Wohnungsbau u.a.m. – gehören in
    Leitsätze/Leitanträge, denn an ihnen muss ständig gearbeitet, etwa
    angepasst werden. Ein Grundsatzprogramm muss auf seine
    langfristige Bedeutung hin ausgerichtet sein.
    Es muss – unabhängig von der Tagespolitik – die Wertebasis des
    Liberalismus aufzeigen und sollte deshalb nicht überladen werden.
    Mögen die Überlegungen aus unserem Ortsverband dafür Anregung
    und Richtschnur sein.
    Groß-Umstadt, im Juni 2025 Heiko Listner, Ortsvorsitzender
    Überlegungen zum Liberalismus 2025
    Folgender Entwurf für eine Grundsatzdiskussion / OV Groß-Umstadt
    Am 23.Februar 2025 schied der organisierte Liberalismus in
    Deutschland zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte aus dem
    Deutschen Bundestag aus. Schuld daran war sicherlich das Festhalten
    an der bislang in der deutschen Politikgeschichte einmaligen Ampel-
    Koalition von SPD/Grünen und FDP trotz des Haushaltsurteils des
    Bundesverfassungsgerichtes, das dieser Koalition die finanzielle
    Vereinbarungs-Grundlage entzog. Aber es gab auch hausgemachte
    Fehler, einen überforderten Generalsekretär und eine uneinige
    Bundestagsfraktion. Die FDP sollte sich in Zukunft wieder auf ihre
    eigenständige Grundüberzeugung konzentrieren. Es darf kein Zweifel
    daran aufkommen, dass die Partei der Eigenverantwortung das
    grundsätzliche Verhältnis von Staat und Individuum im Allgemeinen
    richtig löst. Der Mensch ist seiner Natur nach und durch Bildung
    fähig, seine Angelegenheiten im Rahmen allgemeiner Regeln mit
    seinen Mitmenschen auf Augenhöhe zu erledigen. Er braucht dazu
    weder den allmächtigen Sozialingenieur, noch den alles lenkenden
    Leviathan, um seinen Weg des Strebens nach Glück mit Anstand zu
    gehen.
    Entziehen muss sich die FDP zukünftig dem Links-Rechts –Schema.
    Dieser Spaltpilz wurde seit dem 19. Jahrhundert immer wieder in die
    liberale Bewegung hineingetragen. Die Gründungsidee nach dem 2.
    Weltkrieg war der Gegenentwurf. Statt Deutsche Demokratische
    Partei (DDP) und Deutsche Volkspartei (DVP) nur noch eine liberale
    Partei für alle Liberalen. Es darf nie wieder heißen: „Die FDP, das sind
    ja zwei Parteien und man weiß nicht, welche man nach einer Wahl
    bekommt“. Wenn das gelingt, wenn die Kernbotschaft des
    Liberalismus auf allen Ebenen einig überzeugend nach außen
    getragen wird, dann muss einem um die FDP nicht bange sein.
    Sie wird die Bürger überzeugen, wenn sie weiß warum. Die rasende
    gesellschaftliche Beschleunigung kann nicht dazu führen, dass der
    Liberalismus seine als grundlegend richtig erkannten Überzeugungen
    über Bord wirft. Er wäre eine hohle Veranstaltung, wenn ihre
    Vertreter den Bürgern in stürmischen Zeiten nicht mehr zu erzählen
    hätten, als dass der Ozean wieder ruhig ist, wenn der Sturm sich
    gelegt hat. Das Alte auf neue Weise zu tun – das ist Innovation.
    Die FDP als einzige Alternative für Deutschland
    Liberalismus heißt:
    „Einsatz für größtmögliche Freiheit des einzelnen Menschen und
    Wahrung der menschlichen Würde in jeder gegebenen oder sich
    verändernden gesellschaftlichen Situation.“
    Diese einprägsame Definition von Karl Herrmann Flach, des ersten
    Generalsekretärs der FDP, gilt unverändert. Liberalismus ist immer
    und „per se“ sozial, sonst wäre die „ Menschenwürde“ des
    Grundgesetzes lediglich eine politisch nicht einsetzbare Phrase. Von
    „Sozial“ zu unterscheiden ist aber „Solidarität“. Solidarität wird als
    Zusammenhalt unter Gleichen begriffen, als Miteinander, als eine Art
    des Zusammenlebens, des zusammen Gestaltens, während soziale
    Wohltätigkeit Unterstützer und Unterstützte immer in eine
    hierarchische Relation bringt. Für den Liberalismus ist Solidarität ein
    Element der bürgerlichen Freiheit.
    Die Wesensmerkmale des Liberalismus: Freiheit und Solidarität
    I. Die Freiheit
    1) Freiheit bedeutet nicht nur, sich aus den Fesseln von Gewalt und
    Unterdrückung zu lösen, sondern auch frei von über sein Schicksal
    bestimmen, Chancen wahrnehmen zu dürfen. Darüber besteht aber
    kein Konsens in der intellektuellen Welt. Sozialisten aller
    Schattierungen halten staatliche Eingriffe in das Leben von Menschen
    für freiheitsfördernd (Neue Sprache gegen die Vorherrschaft des
    Mannes, vulgärer Feminismus, Bürgergeld für jeden der nicht
    arbeiten will, Vorschriften für richtige Ernährung, Klima-Weltrettung
    als historisch-moralische Aufgabe). Das Fatale daran ist, dass sie diese
    im Namen der Demokratie verkaufen. Nur wer ihre Regulierungen
    akzeptiert, ist Demokrat.
    Nicht die offene, freilich regelgebundene Gesellschaft, sondern eine
    Gesellschaft gleicher Gesinnung gilt als das korrekte Weltbild. Damit
    stellen sie die demokratische Rechts- und Staatsidee der liberalen
    Aufklärung auf den Kopf. Sie wollen Freiheit aus der Gleichheit
    ableiten, nicht die Gleichheit aus der Freiheit. Den Vorrang der
    Gleichheit braucht man nicht, weil wir alle gleich wären. Weil wir es
    eben nicht sind, braucht die Freiheit den Vorrang, die Gleichheit der
    staatsbürgerlichen Rechte herstellen zu können. Das Eintreten derer,
    die sich auf diesen Vorrang der Freiheit berufen, wird jedoch als
    Bedrohung der Demokratie gebrandmarkt. Parlamentarische
    Entscheidungen werden nur mit dem Siegel der Unbedenklichkeit des
    Zeitgeistes als demokratisch angesehen.
    Damit einher geht die gesellschaftlich polarisierende schwarz-weiß-
    Kultur der rechten und linken Radikalparteien, für die nur ihre ewig
    gestrige Selbstwahrheit als zustimmungsfähig gilt, alles Andere als
    nicht zu beachten, verräterisch, unfair.
    Dass mit dieser Rigorosität der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat
    in Gefahr gerät, kommt den Moralegoisten nicht in den Sinn. Die
    individuelle Freiheit als Voraussetzung für die Produktivität und
    Innovationskraft einer Gesellschaft – die gewöhnliche Menschen
    dazu bringt, für ihre Mitmenschen Ungewöhnliches zu leisten –
    Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit werden moralisierendem, nur
    eigenen Vorstellungen applaudierendem Konformitätsdruck
    ausgesetzt.
    Diese Absicht, die „Republik der Bürger“ durch eine „Fan-Republik
    des Eigennutzes“ zu ersetzen, gilt es zu entlarven, denn Eigennutz
    und Gemeinnutz müssen Hand in Hand gehen. Kein Unternehmen
    wird überleben, wenn es seine Kunden, Mitarbeiter und Ressourcen
    rücksichtslos ausbeutet und umgekehrt wird eine Gesellschaft ihren
    Wohlstand verlieren, wenn sie ihren Unternehmern den Freiraum
    nimmt.
    2) Freiheit des Liberalismus heißt nicht Schrankenlosigkeit in Tun und
    Lassen wie es gerade gewollt wird und einfällt. Die Freiheit des
    Einzelnen, die Wahrung des Einzelinteresses endet dort, wo die
    Freiheit eines Anderen eingeschränkt wird. (Französische „Erklärung
    der Menschenrechte“ von 1789: „Alles tun können, was einen
    anderen nicht schädigt“). Anders ist anständiges Miteinander nicht
    denkbar. Wahrung des menschlichen Individualinteresses, um das es
    dem Liberalismus geht, bedeutet eben auch eine Rücksichtnahme auf
    die Interessen der Allgemeinheit, mit denen es allen besser gehen
    würde. Von diesen Einzelinteressen zu differenzieren sind einzelne
    Gruppeninteressen, die durch eine rücksichtslose Wahrnehmung
    ihrer interessengebundenen Freiheit das Allgemeininteresse aus dem
    Blick verlieren. Links- und rechtsideologisches Vorteilsdenken hat es
    geschafft, die Förderung des allgemeinen Interesses durch
    bürokratische Finessen zugunsten von Gruppeninteressen (Mensch,
    Tier, Natur) fast vollständig zu blockieren. Spezielle Interessen
    wahrenden Ämtern wurde eine Eingriffsmacht zugestanden, die das
    Gesamtinteresse unberücksichtigt lassen kann. Verbände, die nur
    ihren eigenen Interessen verpflichtet sind, dürfen mit Hilfe von
    Abgeordneten und – getarnt als „Träger öffentlicher Belange“ – an
    der Ausgestaltung allgemeinverbindlicher Regulierungen mitwirken
    und sind natürlich vor allen daran interessiert, durch Aufbau
    bürokratischer Hürden ihre ideologischen, vor allem aber finanziellen
    Pfründe und Einflussmöglichkeiten zu sichern und Verantwortlichkeit
    abzuwehren. Der Wahn von angeblich nützlichen Zertifizierungen,
    spezielle Zulassungen für Kranken- und andere Transporte,
    exorbitante Kosten für den Erwerb eines Kfz-Führerscheins, die
    Vorrangstellung von DIN-Normen etwa sind so zu erklären.
    Aber im Namen der Freiheit demokratische Freiheiten
    einzuschränken ist sehr heikel.
    Denn so wächst die Bürokratie über ihre Rolle als Teil der exekutiven
    Gewaltenteilung in der Demokratie hinaus zu einer eigenständigen
    Administrativen, die nicht den Bürgern dient, sondern vor allem sich
    selbst.
    II. Die Solidarität
    Dem setzt der Liberalismus das Streben nach solidarischem Verhalten
    entgegen. Denn wenn alle in unserem Land Freiheit, Wohlstand,
    Sicherheit, soziale Hilfestellung als grundlegende Gemeinsamkeit
    akzeptieren, müssen Gruppeninteressen ihr Vorteilsstreben
    zurücknehmen. Wer Freiheit will, darf sie nicht durch die eigenen
    Interessen gefährden. Nur, wenn alle bereit sind zu geben, damit
    auch andere geben, hat die Freiheit der Bürger unter einer
    demokratischen Verfassung eine Chance. Alle müssen – gemessen an
    der jeweiligen gesellschaftlichen Situation – etwas beitragen, die
    einen durch Kapital, andere durch mehr Arbeit, Ältere durch Verzicht
    auf gewohnheitsverwahrloste Standards, Jüngere durch Wehr- oder
    Gesellschaftsdienst, die ältere Generation durch Rücksichtnahme auf
    die Belange der ihr nachfolgenden. Für Liberale genießen Anstand,
    Herz und Charakter Vorrang gegenüber unbedingtem Streben nach
    Erfolg und anmaßender Politik.
    Ein liberal geprägter Staat muss deshalb die Stärke haben, sich vom
    Einfluss der Gruppeninteressen, dem Massenpopulismus der
    Verbände, Organisationen freizuhalten.
    Immer, wenn sich Interessengruppen – egal welcher Couleur – zur
    Durchsetzung ihres Einflusses als Verfechter der wahren Demokratie
    aufgespielt haben, ist es für den demokratischen Rechtstaat
    gefährlich geworden.
    Freilich bedeutet Freiheit auch: Freiheit zum Nichtstun. Aber auch
    insoweit gilt: Die Freiheit des Nichtstuns endet da, wo sie zu Lasten
    Anderer geht, wo sie unsolidarisch wird. Liberale Politik muss sich
    gegen den Einzug des Unseriösen in das Freiheitsideal zur Wehr
    setzen, denn die Geschichte lehrt was dabei herauskommt, wenn
    man das Geschehen gescheiterten Postkartenmalern, Junkies,
    verkrachten Bohemiens, der ungebildeten Halbwelt überlässt.
    Freiheit und soziale Marktwirtschaft
    Freiheitliche Demokratie kann auch durch einen für- und
    vorsorgenden Staat bedroht werden. In Deutschland gibt der Staat
    bereits mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes für soziale
    Zwecke aus, darunter leistungsloses Bürgergeld. Dieser Anteil wird
    nach dem Ende der Schuldenbremse rapide Fahrt aufnehmen. Neue
    Schulden führen nicht nur zu zusätzlichen Zinsen in den Folgejahren
    und erhöhen damit die Deckungslücke, sie bewirken ja auch die
    Erhöhung der Zinsen für Altschulden. Der Kapitalmarkt „bestraft“ die
    weitere Verschuldung mit höheren Zinsen und Herabstufung der
    Kreditwürdigkeit. Zinsen werden so mit Zinsen finanziert – eine
    Zinsspirale mit möglicherweise katastrophalen Folgen. Der Staat
    muss immer mehr Geld hereinholen, um Probleme zuzukleistern, das
    Wahlvolk besänftigen und unproduktive Kosten (Schulden/Zinsen)
    begleichen zu können.
    Aber ein demokratischer Staat muss mittel- und langfristig seine
    Ausgaben mit laufenden Einnahmen finanzieren, sonst geht ihm auch
    international die gestaltende Leistungskraft verloren.
    Der staatsgläubig aufgeplusterte Staat verteilt planwirtschaftsartige
    Subventionen und alimentiert mit vollen Händen. Selbst
    Nichtregierungs-Organisationen (NGO) und Bürgerinitiativen können
    kassieren und sind Nutznießer. Eine Verweigerung oder gar
    Rückführung wird als antidemokratisch gegeißelt und staatsgläubigen
    Parteien fehlt die Kraft für verweigernde und rücknehmende
    Reformen.
    Damit wird klar: Staatsziel bei Sozialisten und Konservativen ist die
    Machtsicherung ihrer Regentschaft durch Wohlfahrtsvergabe. Mit
    Verfügungsgewalt über gesetzlich ungebremste Mittel können die
    Regierenden Bürger und Institutionen mit immer neuen Auflagen zu
    ihren Gunsten regulieren. Der rechtfertigende Vorwand, damit die
    Demokratie gegen Verlockungen von Revolution und Reaktion
    abzusichern fällt spätestens dann in sich zusammen, wenn der
    Kapitalmarkt die Auswüchse des Wohlfahrtsystems in Frage stellt.
    Demgegenüber scheinen Liberale mit ihren Argumenten von
    Schuldenbremse, Finanzdisziplin, Deregulierung und Steuerabbau
    zwischen allen Stühlen zu sitzen. Der liberale, machtbegrenzte Staat
    der Aufklärung – mit Gewaltenteilung, Pressefreiheit, Rechtsstaat,
    Wettbewerb und offenen Märkten als Friedensordnung – droht im
    modernen Versorgungsstaat aufzugehen. Um dem entgegen zu
    treten, ist die FDP die einzige und eigentliche Alternative für
    Deutschland.
    Es gibt neben ihr nur staatsgläubige Parteien, von denen keine der
    liberalen Maxime folgt: Ohne soziale Marktwirtschaft keine
    Demokratie. Die neue Feindseligkeit gegen die Demokratie, die in
    ihrer Abwägung verschiedener Ziele zu langsam bei der Bewältigung
    des Klimawandels sein soll, leugnet und verkennt vollständig die
    Erfahrung der letzten Jahrhunderte, dass die Marktwirtschaft in
    ständig angepasstem Rahmen immer der beste Mechanismus für
    Problemlösungen in der Demokratie war. Jede Form
    planwirtschaftlicher Tendenz hat – überall auf der Welt nachweisbar–
    das Potential, demokratische Gesellschaften in illiberale, autoritäre
    Regime zu verwandeln. Wirtschaftliche Freiheit ist die Vorbedingung
    für jede andere, auch für die politische. Oder anders gesagt: Wer
    staatliche Einflussmacht will, dem muss die individuelle Freiheit
    einer Marktwirtschaft egal sein.
    Für staatsgläubige Parteien ist vorrangig: Freiheit durch staatlich
    Einfluss nehmende Wohlfahrt. Sie haben die Bürger daran gewöhnt,
    soziale Leistungsempfänger zu sein und das als „Freiheit“ zu
    begreifen. ‚Mir und meinen Interessen muss es gut gehen, sonst
    muss der Staat ran. Die steigenden Kosten eines solchen Nanny-
    Sozialstaates sind dann nur planwirtschaftlich in den Griff zu
    bekommen. Man kann nicht an allen Schrauben einer
    volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Wachstum,
    Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, außenwirtschaftliches
    Gleichgewicht) gleichzeitig drehen. Eine vorzuziehen bedeutet die
    anderen zurückziehen, es sei denn, man will die jede Demokratie
    gefährdende und unsozialste aller Erscheinungen heraufbeschwören:
    Die anti-freiheitliche Inflation. Planwirtschaftliches Regieren geht
    nun einmal nicht ohne Einschränkung bürgerlicher Freiheiten.
    Noch eine Chance für die Liberalen
    Wenn Umverteilung zum Wirkprinzip sozialer Gerechtigkeit
    avanciert, setzt ein Wettbewerb aller gegen alle ein. Jeder hat Angst,
    zu kurz zu kommen. Von „Wohltaten“ verteilenden Politikern kräftig
    gefördert, bringt der Sozialstaat damit am Ende jene Ellenbogen-
    Gesellschaft hervor, die zu schleifen er vorgibt. Zielvorstellung wird
    so der Traum vom sozialistischen Versprechen der Utopie des
    Schlaraffenlandes, die nur noch etwas Geduld erfordere.
    Liberale werden dem energisch entgegentreten. Der Moralismus
    eines solchen Sozialstaates macht süchtig und verdirbt den
    Charakter, nicht der Liberalismus, den die Staatsgläubigen gerne mit
    dem Begriff „Neo-Liberalismus“ als reinen Kapitalismus zu
    diskreditieren suchen. Sie übersehen geflissentlich, dass Kapitalismus
    seit dem Frühkapitalismus des 16. Jahrhunderts immer an politischer
    Macht hängt und deshalb keinen freien Markt, keine „Soziale
    Marktwirtschaft“ bedeuten kann. Er nutzt bis heute nur den autoritär
    Herrschenden, um deren Einfluss und Luxus zu finanzieren.
    Der FDP wird das antikapitalistisch- liberale Grundwasser nicht
    abgehen, das unterhalb aller politischen Strömungen ruht. Rückbau
    staatlicher Aufgaben, Haushaltskonsolidierung, weniger
    Staatswirtschaft, Abbau von Regulierungen und Bürokratie,
    Steuersenkungen, mehr Markt und Eigenverantwortung in den
    sozialen Sicherungssystemen, jedwede Anerkennung von
    Leistungsbereitschaft müssen positiv als Alleinstellungsmerkmal
    vertreten werden. Der vernebelte Begriff „Freiheit“ verdient die
    ständige Verdeutlichung durch eine Partei, die sich für ihren
    absoluten Vorrang einsetzt.
    Die FDP war immer eine Minderheitspartei. Der Zuspruch für den
    Liberalismus hielt sich in Deutschland stets in Grenzen – zum Teil
    auch aus eigenem Verschulden. Aber ihr Mitwirken im politischen
    Betrieb, die bisweilen harte Durchsetzung ihrer Grundüberzeugung,
    hat Wohlstand für alle gefördert, die Regeln demokratische
    Zuverlässigkeit und Frieden bewahrt, die Wiedervereinigung
    entscheidend voran gebracht und radikale Einflussnahme verhindert.
    Die liberale Offenheit, die eine eigene Lebensgestaltung und das
    wohlstandsfördernde Spiel von Handel und Tausch. Angebot und
    Nachfrage einem Raum von Wettbewerb übereignet, behagt nicht
    unbedingt jedem Bürger. Die Zumutung einer freien Gestaltung des
    Lebens ist nicht jedermanns Sache, schon gar nicht, wenn dem Staat
    dadurch ein gewisses Maß an Abstinenz verordnet werden soll. Da
    hat es der Antiliberalismus leicht, kübelweise staatsbürgerliche Moral
    auszuschütten mit für den Bürger positiv verständlichem Inhalt.
    Liberale können darauf verweisen, welchen Freiheits- und
    Wohlstandsgewinn Europa durch die Aufklärung erfahren hat und
    dass es Pfiff dieser Aufklärung war, Privilegien zu beseitigen und den
    Fähigen das Recht zu geben, die Reichen zu entmachten.
    Überall, wo der Staat als Akteur des Kapitalismus auftritt, die
    Menschen damit in Abhängigkeit bringt, ihnen so ein Stück ihrer
    Freiheit nimmt (im Wohnungsbau, in der Energiewirtschaft, im
    Gesundheitswesen), steht es Liberalen gut an, nach der Sinnhaftigkeit
    zu fragen. Es ist besser, von bürokratischem Ballast zu befreien als zu
    bestimmen.
    Gleiches gilt für die Sektoren, auf deren Bestand staatlicherseits
    entscheidend Einfluss genommen wird (Kranken- und
    Rentenversicherung, Sozialverbände, Öffentlicher Personen-
    Nahverkehr). Staatlichen Leistungen müssen deren tatsächlichem
    Zweck zufließen, nicht in vorrangigem Maße deren Verwaltung
    zugutekommen.
    In schwierigen Lagen werden sich Konservative im Zweifel für die
    Sicherheit, Sozialisten im Zweifel für die Gleichheit, Liberale aber
    immer für die Freiheit entscheiden. Diese Gewissheit wird alle
    Zeitläufe überdauern.
    Nachtrag:
    Sich vor allem als Mehrheitsbeschaffer, und als „Bremser am
    Fahrzeug“ stilisieren zu lassen, stellt keine Alternative zum
    wohlfahrtsstaatlichen Sozialismus dar, in dem sich Konservative und
    Sozialisten aller Schattierungen nahe stehen.
    Gelingt es, die begründete Abwägung dazu positiv zu verdeutlichen,
    wird der in der FDP organisierte Liberalismus in Deutschland als für
    unser demokratisches Staatswesen unabdingbare Institution
    anerkannt. Liberale müssen verinnerlichen, die politische Freiheit
    nicht als Zumutung verkommen zu lassen, sondern als Chance zu
    begreifen.
    Groß-Umstadt, im Juni 2025 Dr. Fritz Roth
    P.S: Zur Entstehungsgeschichte dieses Beitrages:
    Ausgangspunkt war mein Buch „Der organisierte Liberalismus in
    Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ erschienen 2006. Dazu
    kamen jahrelang gemachte Notizen. Nobelpreisträger August von
    Hajek („Wege in die Knechtschaft“), Wolfgang Zundel, Hauptstadt-
    Korrespondent der „Zeit“ („Die Erben des Liberalismus“), Karl-
    Herrmann Flach („Noch eine Chance für die Liberalen“) sowie die
    Beiträge von Udo di Fabio (FAZ), Herbert Prantl (Süddeutsche
    Zeitung), Heinz Joffe (Die Zeit), weiterhin die Kolumnen von Rainer
    Hank (FAS) und Jan Fleischhauer (Focus) haben gewissermaßen
    mitgeschrieben.