Rede der FDP Fraktionsvorsitzenden zum Haushalt 2025
In der Stadtverordnetenversammlung am 19.12.2024
Liebe Bürgerinnen und Bürger von Groß-Umstadt!
Gegen jede parlamentarische Spielregel möchte ich Sie heute Abend zuerst begrüßen und das nicht nur, weil Sie uns gewählt haben, gewählt, damit wir Ihre Interessen „repräsentieren“, sondern vor allem weil das, was wir heute Abend beschließen, mehr als in all den Jahren zuvor über Ihre Zukunft in Groß-Umstadt entscheidet.
Die Beschlüsse vorbereitet haben natürlich in erster Linie die Mitglieder der Verwaltung und der Magistrat, beide angeführt von unserem Bürgermeister, sie seien deshalb an zweiter Stelle begrüßt, … und natürlich die Stadtverordneten, die alles in unzähligen Ausschüssen nachvollzogen, durchdacht und vorberaten haben. Danke, dass ihr da seid, um nun auch noch die 5. Haushaltsrede anzuhören! Das gilt auch für die Presse!
Ja, und diesmal „last and least“ (mit einem augenzwinkernden Sorry!):
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher!
„Wir stehen mit dem Rücken an der Wand!“
Diesen ernüchternden Kommentar unseres Bürgermeisters bei der Einbringung des Haushalts habe ich in diesem Jahr zum Leitfaden meiner Haushaltsrede gewählt. Was drin steht im Haushalt, Fakten und Zahlen, die kennen Sie ja bereits, meine Vorredner haben Sie schließlich detailliert und bestens informiert. Und deshalb kann ich es mir nun leisten, das vom Bürgermeister verwendete Bild aufzugreifen, und aus der Not, Sie zu langweilen, vielleicht sogar in den Schlaf zu wiegen, eine Tugend machen, indem ich mich auf ein Schlusswort beschränke und so auch wieder das „letzte Wort“ behalte!
- „Wir“
Durch das einleitende Personalpronomen „wir“ bekommt das Statement eine unspezifische und eben dadurch bedrohlich dramatische Wirkung. „Wir“ – das ist nicht irgendeine ferne Instanz, eine Behörde, die ihren alljährlichen Geschäftsbericht abgibt, der aber eigentlich nichts mit mir zu tun hat, „wir“ – das ist jeder, der zum Einzugsbereich des vorgelegten Haushalts gehört, Sie gehören dazu und deshalb war es mir einleitend so wichtig, Sie, die Bürgerinnen und Bürger von Groß-Umstadt, zuerst anzusprechen.
Darüber hinaus ist das Pro im diesem Pro-Nomen vielfältig deutbar. Ich betone das nicht, um die, die den Haushalt aufgestellt haben, zu entlasten oder Sie zu beschwichtigen, sondern um die Zahlen in den richtigen Kontext zu stellen.
„Wir“ – das weiß jeder, der die Wirtschaftsnachrichten in den Medien verfolgt, das sind im Landkreis Darmstadt-Dieburg nicht nur die Stadt Groß-Umstadt, sondern im Grunde alle 23 Städte und Gemeinden, ja, der Landkreis selbst und mit ihm klagen alle Landkreise Hessens über vergleichbare Bedingungen und Konsequenzen, sehen sich „mit dem Rücken an der Wand“. Erst kürzlich wurde dazu die sog. Wiesbadener Erklärung veröffentlicht.
Und man muss nur die täglichen Nachrichten verfolgen, um zu wissen, dass sich das Problem auf Landes- und Bundesebene fortsetzt: Stagnierende Wirtschaft – das bedeutet für Groß-Umstadt Einbrüche in der Gewerbesteuer, Energiekrise – das bedeutet für Groß-Umstadt wachsende Ausgaben im Gebäudemanagement, Flüchtlingskrise – das bedeutet für Groß-Umstadt steigender Druck auf den Wohnungsmarkt, Inflation, Zinsentwicklung, Baukostensteigerung – das wirkt sich in Groß-Umstadt auf die schon ausgewiesenen Baugebiete in Semd und auch auf die neu geplanten in Wiebelsbach und Kleestadt aus.
„Wir stehen mit dem Rücken an der Wand!“ Das „Wir“ scheint zum Synonym für „alle“ geworden zu sein!
„Wir“ – das sind aber natürlich auch die, die den Haushalt aufgestellt haben, die Verwaltung, und so steht nicht selten der Blick auf den Stellenplan im Zentrum jeder Haushaltsdebatte. 190 Stellen vermerkt unser Stellenplan zum 01.02.2025 und mit 92 Arbeitnehmern nehmen „Gebäudemanagement, Bauhof und Zentraler Service“ hier den ersten Platz ein, gefolgt von 17,3 Stellen im Teilhaushalt „Bürgerservice, Ordnungsamt, Standesamt“. Aber auch die „Kinder- und Jugendarbeit“ verzeichnet 17 Stellen, während alle anderen Bereiche mit 2 bis 5 Stellen ihre Aufgaben erledigen müssen.
Aussagekräftig wird das Zahlenwerk aber vor allem dann, wenn man die Zahl der tatsächlich besetzten Stellen betrachtet: Allein im „Zentralen Service“ sind 10 Stellen unbesetzt und den Erläuterungen kann man entnehmen, dass 6 – 8 Stellen mit einem KW oder KU-Vermerk versehen sind. Insgesamt wird die Zahl der Arbeitnehmer in 2025 sinken, wenn auch vor allem in den unteren Entgeltgruppen. „Verschlankung der Behördenlandschaft“ – dieses Ziel ist den Liberalen von jeher wichtig, kein Wunder, dass es auch im Wahlprogramm für die anstehende Bundestagswahl auftaucht. Deshalb begrüßen wir Liberalen ausdrücklich den von uns schon in 2023 geforderten Wegfall der Sozial- und Rentenberatung und werden auch den letzten Antrag der Grünen, hieraus eine Stelle für Prozessmanagement zu schaffen, ablehnen. Weitere finanzielle Belastungen durch den Stellenaufwuchs im Sozial- und Erziehungsdienst sind ohnehin unumgänglich, aber „beste Bildungschancen, vor allem auch in der frühkindlichen Bildung“ haben im Parteiprogramm der Liberalen ebenfalls hohe Priorität.
Bei allem Bemühen um Verschlankung darf man aber nicht vergessen, dass immer mehr Aufgaben in absehbarer Zeit von immer weniger Fachkräften werden bewältigt werden müssen. Schon jetzt sind z. B. auf Kreisebene gerade Stellen, die für den Modernisierungsprozess (= Stellenabbau) besonders wichtig wären, nämlich Stellen im IT-Bereich unbesetzt. Deswegen möchte ich mich ausdrücklich bei den Grünen bedanken, die mit ihrer Anfrage zum demographischen Wandel auf die hier drohenden Gefahren aufmerksam gemacht haben. Warnen möchte ich auch davor, mit der unkritischen Forderung nach weiterem Stellenabbau unterschwellig zu unterstellen, die jetzt schon zu beklagende Dauer bei der Bearbeitung von Vorgängen oder der Umsetzung von Beschlüssen sei die Folge von mangelnder Leistungsbereitschaft oder gar Unfähigkeit.
Ausdrücklich möchte ich den Mitarbeitern der Verwaltung heute unser Vertrauen aussprechen und damit komme ich zur letzten Bedeutung des
„Wir“ – das sind nämlich auch die, die in der neu gebildeten „AG Haushaltskonsolidierung“ ein Jahr lang in insgesamt mehr Sitzungen als alle anderen Ausschüsse zusammengenommen, bevorzugt freitagsabends oder samstagsvormittags, zu klären versucht haben, wo wir „stehen“ und wie wir diesen Standort vielleicht verändern oder verbessern könnten. Mit dieser AG, die immer ein Triumvirat aus Verwaltung, Magistrat und Fraktionsvorsitzenden war, haben wir die Auflage der seinerzeit in Anspruch genommenen externen Beratung durch die Freiherr-vom-Stein-Stiftung erfüllt und zugleich der Forderung der Genehmigungsbehörde, die Stadtverordnetenversammlung stärker an der Verantwortung zu beteiligen, Rechnung getragen.
Ich finde, „wir“ können stolz darauf sein, diese Stunden zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger von Groß-Umstadt eingesetzt zu haben.
- „an der Wand stehen“
„Wir stehen mit dem Rücken an der Wand.“
Ehrlich gesagt, ist dieses Statement unseres Bürgermeisters zwar einen Pluspunkt für Ehrlichkeit wert, aber als Ergebnis einjähriger Bemühungen doch eher niederschmetternd. Wer „an der Wand steht“, der steht da zumeist nicht freiwillig, er ist in die Enge getrieben, er weiß und kann nicht weiter. Ausweglosigkeit, verbaute Zukunft, Probleme, die sich so aufgetürmt haben, dass kein Handlungsspielraum mehr bleibt, ja, die Luft zum Atmen fehlt, all das impliziert das Bild.
Und genauso stellt sich die Haushaltslage vor allem nach dem Soll-Ist-Vergleich von 2024 und erst recht in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2027 auch dar: Noch ist das Defizit, das anders als prognostiziert, nun doch die Millionengrenze überschritten hat, halbwegs überschaubar, kann aus den Rücklagen ausgeglichen werden, aber es wird wachsen und schon in 2026, und erst recht in 27 und 28, wird sich die Frage nach dem Ausgleich umso dringlicher stellen. Deshalb war es gut und richtig, auch ohne die Auflage eines Haushaltssicherungskonzepts durchzurechnen, wie damit umgegangen werden könnte. Mittelfristig kann wohl hier die „ungebundene Liquidität“ noch Beweglichkeit erhalten.
Ich war übrigens beeindruckt, mit welcher Schonungslosigkeit und welchem Einfallsreichtum die Abteilungen, zumindest die Ausgaben-stärksten, die wir gemeinsam betrachtet haben, Pflichtaufgaben von freiwilligen Aufgaben getrennt sowie über Einschränkungen oder sogar gänzlichen Wegfall nachgedacht haben. Über die ohnehin schon beschlossene pauschale Kürzung hinaus waren es oft nur kleine vierstellige Beträge, die ausgedeutet werden konnten, und da in unseren kommunalen Haushalten weder mit „Schuldenbremsen“ noch „Sondervermögen“ jongliert werden kann, bin ich der CDU-Fraktion besonders dankbar für den noch gestern eingebrachten Änderungsantrag zur weiteren Kürzung der Ansätze im Bereich der „Sach- und Dienstleistungen“ – auch wenn die so wichtige „Kinder- und Jugendpflege“ sowie „Kulturpflege und Tourismus“ davon betroffen sind. Dieser Sparvorschlag, diesmal in Höhe von 200.000 Euro, wird von SPD und FDP mitgetragen – schwarz, rot, gold, ein interessantes Farbenspiel! Bei dem davon ausgenommenen Änderungsantrag zur Investition in Verkehrssicherheit gehen wir auch mit, schon weil hierdurch auch Interessen der Stadtteile berücksichtigt werden, was uns wichtig ist. Weitere Investitionen in Fahrzeuge und Spielgeräte lehnen wir ab.
Das Bild von der „Wand, an der wir stehen“, lässt sich meiner Ansicht nach aber auch positiv deuten: Eine „Wand, an der man steht“, kann auch Halt und Rückendeckung geben, und die haben die Haushaltsberatungen und Entscheidungen zumindest für mich als Mitglied der oben erwähnten AG in ganz eigener Weise bewirkt. Dazu will ich drei Beispiele anführen: den Bereich der „Kinder- und Tagespflege“, den Bereich „Wohnungsbau“ und den „Gebäudebestand“, also die städtischen Vermietungsobjekte samt Belegungsstatistik.
Dabei war es anfangs irritierend, dass Zahlen und Fakten nicht einfach aus der Schublade geholt, sondern aufwendig recherchiert und zusammengestellt werden mussten. Muss ich als Privatperson nicht jederzeit wissen, wo sich wann und von wem betreut meine Kinder aufhalten, was mich mein Einfamilienhaus samt Infrastruktur kostet und ob ich es im Zweifelsfall auch kostendeckend vermieten kann? Nein, ich erwarte natürlich keine Antwort, bin aber froh, dass in den genannten Bereichen inzwischen soweit Klarheit und Transparenz erzielt wurde: nämlich über die Betreuungsbedarfe in Stoßzeiten und darüber hinaus, über mögliche Quadratmeterpreise in neu ausgewiesenen Baugebieten, über kostenfreie Übungsstunden in Bürgerhäusern sowie kostenpflichtige Buchungen von Hallen durch Dritte, alles wurden in übersichtlichen Tabellen erfasst. Wussten Sie, dass das Rathaus Heubach nur „dauerhaft“ und „kostenfrei“ genutzt wird? Und das Bürgerhaus in Klein-Umstadt mit 12 kostenpflichtigen und 9 kostenfreien Vereinsveranstaltungen fast genauso intensiv genutzt wird wie die Stadthalle mit nur 13 kostenpflichtigen Buchungen? Auf der Grundlage dieser Statistik können nun für 2025 weitere Entscheidungen zur Kostensenkung oder Einnahmeerhöhung getroffen werden. Und auch die Einschätzung der Verkehrswerte mit und ohne – auch energetische! – Sanierungsbedarfe liefert Entscheidungsgrundlagen. Denn auch wenn diese Kenntnisse „Rückhalt“ für Entscheidungen liefern, keiner dieser „Rückhalte“ ist auf Ewigkeit „zementiert“ – „Alles lässt sich ändern!“ Ganz nebenbei und zufällig vermerkt: Der Titel des liberalen Wahlprogramms für Februar!
- „mit dem Rücken“
Und damit komme ich zum letzten Bestandteil des als Leitfaden gewählten Bildes, den ich bewusst ans Ende meiner – zugegeben kühnen – Interpretation gestellt habe, obwohl er im Zentrum des analysierten Satzes steht: der „Rücken“. Dabei erspare ich mir jetzt so vordergründige Wortspiele wie das, dass der, der „mit dem Rücken an der Wand steht“, zumindest mal Rückgrat und Standfestigkeit haben muss ….Obwohl es mich natürlich reizen würde, auch in dieser Hinsicht uns ehrenamtliche Kommunale von den hauptamtlichen Bundes …, na ja, Sie wissen auch so, was ich meine!
Nein, ich möchte Ihnen vor Augen führen, dass der, der „mit dem Rücken an der Wand steht“, zumindest mal keine „Wand“, will sagen, kein „Brett mehr vor dem Kopf hat“! Im Gegenteil: Er hat sich am Ende eines Weges, der in die Sackgasse führte, umgedreht und blickt nun mit neuen Einsichten und Erfahrungen in die Zukunft. Deshalb wird die „AG Haushaltskonsolidierung“ ihre Arbeit in 2025 fortsetzen (Allerdings nur, wenn der Bürgermeister vor Zeugen verspricht, den 23.12. als potentiellen Sitzungstermin dauerhaft aus seinem Terminkalender zu streichen! … Das hatte er nämlich vor! …). Dabei werden wir erneut die Freiherr-vom-Stein-Stiftung zur Beratung einladen. „Prozessoptimierung durch Modernisierung und Digitalisierung“, diese Wege müssen nämlich dringend schneller und breiter gebahnt werden, auch die der interkommunalen Zusammenarbeit.
Beschritten haben wir die Wege schon: z. B. im Bereich des digitalen Archivverbunds oder mit der in der letzten sowie in der heutigen Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Klärschlammentsorgung oder der Fortführung der „AG Gewässerschutz und Landwirtschaft in der Region Starkenburg“. Gepaart mit einem realistischen Investitionsplan mit Augenmaß, der nur die Projekte vorsieht und angeht, die im laufenden Haushaltsjahr auch abgearbeitet und in den folgenden getilgt werden können, müssten wir so mit „Rückendeckung“ Stück für Stück wieder handlungsfähig werden.
Leben wollen viele in Groß-Umstadt, aber dieses Leben, allem voran das Wohnen muss auch bezahlbar bleiben oder wieder werden, auch für sozial Schwächere. Nicht zuletzt deshalb hat sich die FDP, angeregt durch das Beispiel der Grünen im Kreistag, für den Erhalt der „Fachstelle für Wohnungsnotfälle – Sicherheit und Wohnen“ eingesetzt und breite Zustimmung gefunden. Man sieht: In Groß-Umstadt gibt es weder gedankenlose Konsenspolitik noch ideologische Grabenkämpfe, sondern Respekt vor anderen Schwerpunktsetzungen und Vertrauen in die gemeinsame Basis eines demokratischen Europas, wie wir es am Europatag und bei anderen Gelegenheiten bewiesen haben; die heute zu Ende gehende und leider draußen nicht mehr sichtbare Ausstellung zu 60 Jahren portugiesischer Migration zeugt davon. Das lässt mich, lässt uns, trotz zahlreicher Bedenken im Einzelnen optimistisch auf das vor uns liegende Jahr blicken: Die FDP-Fraktion wird dem Haushalt 2025 zustimmen.
Mit der Haushaltssatzung der Stadt Groß-Umstadt für das Haushaltsjahr 2025 ist vielleicht „kein Staat zu machen“, aber wir sind ja auch nur eine „Stadt, die mit dem Rücken an der Wand steht!“.
Vielen Dank!
Dr. Margarete Sauer, Fraktionsvorsitzende der FDP